Der Nikolaus

Jetzt ist wieder die Zeit gekommen: Der Nikolaus, der Weihnachtsmann, Santa, Papa Noël oder wie man die Figur auch immer bezeichnet klettert an Hausfassaden hoch, bewegt sich vor Kaufhäusern, erstrahlt in Anzeigen und auf Plakaten und versucht die Kassen klingeln zu lassen.

Die Legende um den Heiligen nutzen Werbefachleute und Marketingstrategen. Sein Gewand wird gestaltet nach den Anforderungen der Kunden als roter Mantel mit weissem Pelzbesatz bis hin zum Pin-up.  

Wissen wir wo der Nikolaus her kommt, wie die Legende entstanden ist? Wenn wir ehrlich sind müssen wir eingestehen, dass viele von uns es nicht wissen – ich habe es auch erst in einem fortgeschrittenen  Alter erfahren.

Einige Kilometer an der Mittelmeerküste von Antalya aus nach Westen gelangt man in den Ort Myra. Ausserhalb des Ortes findet der Besucher ein altes Theater, eine Nekropolis in den Felshängen und – die Ruine einer christlichen Kirche, die zurzeit restauriert wird. Wegweiser weisen die Richtung zu „Baba Noel“.

Aus Myrna an der Lykischen Mittelmeerküste stammt der Mann – sein Geburtsort war Patara, das nicht weit entfernt von Myrna liegt -, der heute für Geschenke und Umsatz sorgen soll.

Es ranken sich viele Geschichten um sein Wirken und sein Leben. Einiges davon konnte historisch belegt werden, anderes ist Legende. Eine Tatsache taucht jedoch immer wieder auf: Sankt Nikolaus hilft den Armen, den Seeleuten, ja selbst den Dieben.

Eine Geschichte um die Figur gefällt mir sehr gut. Ich will sie hier wiedergeben:[1]  

„Einige Zeit bevor Nikolaus Bischof wurde, wohnte in seiner Nachbarschaft in Myra ein Witwer mit drei Töchtern. Die Mädchen waren hübsch und alle drei hatten ein freundliches Wesen, aber, weil sie arm waren und nicht die gringste Mitgift hatten, mochte keiner der jungen Männer von Myra sie heiraten.

Ihre Familie war ehemals recht wohlhabend und angesehen gewesen, aber dann hatte eine Serie von Unglücksfällen sie getroffen. Die Mutter starb, Krankheit, geschäftliche Verluste und Zerstörungen durch Erdbeben hatten sie um ihren fast ganzen Besitz gebracht. Bei gesellschaftlichen Anlässen konnten sie nicht mehr mithalten, so behandelte man sie als Aussenseiter. Die Mädchen wurden von ihren ehemaligen Bekannten geschnitten. Aber auch von den jungen Arbeitern aus Andriake, dem Hafen von Myra, traute sich keiner, eines der Mädchen zu heiraten, obwohl einige sie mochten. Sie fühlten sich den Mädchen unterlegen, weil sie andere Umgangsformen hatten.

So war der Vater in seiner verzweifelten Sorge auf die Idee verfallen, die Mädchen in ein Bordell zu schicken, damit sie auf diese Weise für sich und ihre Angehörigen den Lebensunterhalt verdienen könnten.

Währenddessen erfuhr Nikolaus von der Notlage in seiner Nachbarschaft. Er wollte helfen und er verfügte auch über die notwendigen Mittel dazu. Aber, um die Unglücklichen nicht zu beschämen und sich nicht gross aufzuspielen, wollte er es heimlich uns anonym tun. So nahm er einen Beutel mit Goldstücken, warf ihn bei Nacht durch das geöffnete Fenster in das Haus und verschwand ungesehen. Am Morgen fand der Vater das Geld, das ihm wie ein Geschenk des Himmels kam. Er dankte Gott, schämte sich wegen seines schäbigen Planes und begann, für die älteste Tochter die Aussteuer zu beschaffen. Es fand sich bald ein Bräutigam ein und das Geld reichte auch noch zu einer fröhlichen Hochzeit. Als Nikolaus sah, dass seine Hilfe gut angekommen war, und die Familie das Geld wohl genutzt hatte, taten ihm die beiden anderen Mädchen leid. Er wiederholte sein heimliches Geschenk und nach einer Zeit war auch die zweite Tochter verheiratet. Der Vater hätte gern den unbekannten Retter seiner Mädchen kennengelernt, um ihm zu danken. Im Stillen hoffte er nach allem, was geschehen war, der heimliche Helfer werde sich auch seiner dritten Tochter erbarmen. So schlief er von nun an Nacht für Nacht völlig angezogen unter dem Fenster, um sofort aufspringen und den nächtlichen Wohltäter verfolgen zu können.

Nikolaus war entschlossen, auch dem dritten Mädchen unerkannt zu helfen und warf noch einmal bei Nacht einen Beutel durch das Fenster. Von dem Geräusch wachte der Vater sogleich auf und eilte dem Flüchtenden nach. Er holte ihn rasch ein und erkannte Nikolaus, seinen Nachbarn. Überrascht und dankbar wollte er ihn in sein Haus einladen. Aber Nikolaus wehrte allen Dank ab und liess den Vater versprechen, nichts von der Sache zu erzählen. Ohne zu ahnen, dass seine Worte sehr bald in Erfüllung gehen würden, erwiderte dieser: „Ein Mann wie Du verdiente, unser Bischof zu werden!“ Später erzählten die drei glücklichen Frauen die Geschichte dann doch, und sie wurde zum Anlass der alljährlichen heimlichen Geschenke am Nikolausabend.“  


[1] Roman Mensing, Nikolaus von Myra, ISBN 3-491-70343-3